Familienkonflikte

Typische Aussagen, die den seelischen Zustand von enttäuschten Familienmitgliedern und damit auch schwelende familieninterne Konflikte verdeutlichen, kennen wir alle. Gebrochene Herzen und tiefe seelische Verletzungen führen zum Abbruch von familiären Beziehungen. Die Chance, solche Beziehungen wieder zu kitten, bleibt über Jahre ungenutzt. Warum? Oftmals aus Angst, sein Gesicht zu verlieren.

Es gibt genügend Beispiele von zerrütteten Familiensituationen. In berühmten Familien ist es nicht besser als in «Durchschnittsfamilien». Ein Beispiel hierfür ist die Familie des Bundeskanzlers Helmut Kohl, die bis zu dessen Tod keinen Frieden fand. Versöhnung gab es bis zum Schluss nicht.

Meine Eltern lieben mich weniger als meinen Bruder. Meine Eltern haben etwas gegen meinen Partner. Nie verzeihe ich meinem Vater, dass er die Familie verlassen hat. Meine Schwester hat mich so beleidigt, ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Meine Mutter redet immer nur von sich, sie hat mir noch nie richtig zugehört. Es ist nicht auszuhalten, wie mein Vater in die Erziehung meiner Kinder dreinredet. Meine Eltern haben dauernd Streit und spielen mich ständig gegeneinander aus. Man hört solche typischen Aussagen, wenn man aufmerksam hinhört, regelmässig.

Der Arzt und Psychotherapeut Reinhard Haller schreibt in seinem Buch «Die Macht der Kränkung», dass nahezu jedem menschlichen Problem eine Kränkung zugrunde liegt. Kränkungen greifen unsere Selbstachtung, unser Ehrgefühl und unsere Werte an. Sie treffen uns im Innersten, können uns aus der Bahn werden und uns krank machen. Dies stimmt wohl, – die oben gemachten Beispiele tönen stark nach Kränkung. Oft es sind Erwartungen, die nicht erfüllt wurden. Ein Vater, der sich nie um seine Kinder kümmert, muss sich nicht wundern, wenn diese andauernde Situation irgendeinmal im Streit und in der Ablehnung endet.

Seien wir ehrlich, – Konflikte gibt es überall wo Menschen zusammenleben und in jeder Familie. Auch solche, die trotz Lösungsversuchen weiterschlummern. Regemässig an Feiertagen und Familienfesten treten sie wieder an die Oberfläche und belasten die einzelnen Familienmitglieder noch Wochen und Monate danach. Wut, Trauer, Enttäuschung und Ratlosigkeit machen sich immer von neuem breit. Man versucht zu vergessen oder zu verarbeiten, – aber der nächste Familienanlass kommt bestimmt!

Wie könnte man mit solchen belastenden Konflikten umgeben? Ignorieren? – unmöglich! Immer wieder die gleichen Versuche wagen, darüber zu reden? Irgendeinmal auch fast unmöglich, es wird nur noch schlimmer! Kontakt abbrechen? Auch schwierig, – das ist ja gerade das Belastende! Was also tun, wenn die Familie in endlose Krisen und Konflikte verstrickt ist?

Vielleicht gibt es tatsächlich Geschehnisse oder Vorfälle in einer Familie, die unverzeihlich sind, die unglaublich schwer wiegen und wo allergröbste seelische Verletzungen hinterlassen wurden. In solchen Fällen helfen Psychologen und Psychiater, das Geschehene einigermassen zu verarbeiten und das Leben wieder lebenswert zu gestalten.
Ansonsten spielt sicher der Leidensdruck eine entscheidende Rolle. Dieser entscheidet darüber, ob ein nächster Versuch unternommen werden soll, eine Lösung des Konflikts herbeizuführen. Wenn die Belastung über Monate und Jahre zunimmt und immer unerträglicher wird, sollte man den Mut zusammennehmen und einen (weiteren) Versuch wagen, den Konflikt anzupacken. Dabei können das Gefühl und die Vorstellung, wie man sich fühlen wird nach einer erfolgreichen Konfliktlösung, sehr motivierend wirken.

Anke Meissner, Familien- und Paartherapeutin sagt, dass der Weg zur Versöhnung bei demjenigen beginnen muss, der gekränkt wurde. «Derjenige muss handeln». Der andere ist «unwichtig», denn er kann seine Handlung oder Beleidigung nicht ungeschehen oder ungesagt machen.

So stellt sich die Frage, wie ich meinen innerfamiliären «Kontrahenten» an den Gesprächstisch bringe. Versuchen Sie eine mündliche oder schriftliche Kontaktaufnahme wie folgt: Mich belastet die aktuelle Familiensituation und ich möchte gerne mit Dir eine Lösung suchen, die für uns beide gut ist. Es ist mir wichtig, mit Dir darüber reden zu können. Ich stelle keine Vorbedingungen und ich verspreche Dir, mich im Gespräch korrekt zu verhalten. Nehmen Sie in dieser Anfangssituation noch keine Stellung zu offenen Problemen und üben sie noch keinerlei Druck aus. Wenn Sie auf diese Weise ihre Hand zum Angebot ausstrecken, nehmen Sie Ihrem Gegenüber bereits viele Ängste und erhöhen die Chance auf ein erstes Zusammentreffen. Vielleicht kann der erste Schritt über eine Drittperson führen, die Einfluss auf das Familienmitglied hat, mit dem ich reden möchte. Die Vermittlung der Erkenntnis, dass die Fortführung des Konflikts viel mehr Energie kostet als die Beendigung desselben, wirkt meist heilsam.

Wenn Sie dieses erste Gesprächstreffen geschafft haben, dürfen Sie sich schon mal auf die Schulter klopfen. Aber aufgepasst! – das ist erst der Anfang, ab sofort sind wichtige Kommunikationsregeln einzuhalten. Sonst kippt die Situation sehr schnell auf die negative Seite.

Folgende verinnerlichte allgemeine Grund- und Wertehaltungen tragen zum Erfolg bei:
Streiten wir uns, um eine Lösung zu erreichen, oder geht es nur darum, Recht zu bekommen?
Frieden zu schließen muss uns wichtiger sein, als den Streit zu gewinnen.
Wer streitet verliert, schafft man Frieden, gewinnen beide.
Ehrliche Vorabklärung der Frage, welchen Anteil ICH am Konflikt mittrage.
Streitet jemand in der Familie, geht es ihm oft nicht gut oder er fühlt sich ungerecht behandelt.
Worte können verletzen. Auch wenn sie nicht so gemeint sind. Worte einfühlsam auswählen.
Kompromissbereitschaft signalisieren. Streitgespräche sollen mit einem Gefühl der Zufriedenheit enden.
Gespräche enden nur dann erfolgreich, wenn keiner der Gesprächspartner sein Gesicht verliert.

Kommunikationsgrundsätze für anspruchsvolle Gesprächs-Situationen
Gestalten Sie den Gesprächsbeginn positiv, dankbar, wertschätzend und sachlich.
Behalten Sie Ihre Emotionen unbedingt im Griff, auch wenn Sie sich angegriffen oder verletzt fühlen.
Immer zuerst denken und erst dann reden!
Innerlich Verständnis aufbringen, wenn mein Gegenüber schneller redet als denkt, und verletzt wirkt.
Wenn nötig tief durchatmen und innerlich auf 5 oder 10 zählen. Mit dem Rücken spüren Sie die Lehne.
Nicht zum Gegenschlag ausholen, nicht streiten, sondern zuhören. Keine emotionalen Rechtfertigungen.
Aktiv und einfühlsam zuhören, dem anderen nicht ins Wort fallen.
C’est le ton qui fait la musique, – niemals sarkastisch, laut oder ausfallend werden.
Nicht DU-Botschaften senden, sondern ICH-Botschaften:
z.B. nicht sagen: Du hörst mir nie zu! Sondern: es tut mir weh, wenn Du solche Vorwürfe machst.
Immer sachlich bleiben, erst recht in schwierigen Momenten des Gesprächs.
Keine Beleidigungen, keine Drohungen und keine verachtenden Bemerkungen äussern.
Das Aufkommen von Missverständnissen möglichst vermeiden.
Fragen Sie deshalb: Ich verstehe das nicht, wie meinst Du das genau?
Oder fassen Sie vom Gegenüber Gesagtes zusammen: Verstehe ich Dich richtig, Du meinst….
Sich ehrlich entschuldigen, wenn man feststellt, dass man unabsichtlich zum Streit beigetragen hat.
Eigene Fehler eingestehen. Fragen, wie ich in irgendeiner Form eine Wiedergutmachung leisten kann.
Zeigen Sie Wertschätzung, Wertschätzung, Wertschätzung, Respekt, Respekt, Respekt.
Zusammenfassung des Gesprächs und das WIE WEITER ansprechen.
Konkrete Lösungsschritte ansprechen. Ich mache dies, Du jenes. Zusicherung, sich daran zu halten.
Ehrliche offene Freude ausdrücken zum Erfolg der Konfliktlösung.
Sich zum Schluss die Hand geben und in die Augen schauen.

Die Fähigkeit, Kommunikationsregeln anzuwenden und einzuhalten, entscheidet ganz erheblich über Erfolg und Misserfolg in Gesprächen, insbesondere in schwierigen, hochstrittigen oder sogar hoch-eskalierten Familienkonflikten. Üben Sie solche Situationen, bereiten Sie sich mental gut darauf vor!

Zögern Sie notfalls nicht, eine neutrale, aussenstehende und mit den Kommunikationsregeln vertraute Person beizuziehen. Die Kosten sind im Verhältnis zum möglichen emotionalen Erfolg verschwindend klein.

Schlimm ist, wenn Familienmitglieder sterben, ohne dass ein langwieriger Familienstreit angesprochen und gelöst werden konnte. Wie bei der Familie des Altbundeskanzlers Helmut Kohl. Aber dann ist es zu spät. Vorher aber ist nie zu früh!

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